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Ich erzähle von meiner ersten Singwoche 1963 in Dahme

28. September 2009

… unter Leitung von Volker Ochs, die dem damals Vierzehnjährigen einen unvergeßlichen Eindruck hinterlassen hat. Sie bewirkte für mich, daß ihr seither an die zwanzig weitere folgten, auch in anderen Landeskirchen. (Erich Schmidt/Meißen, und sein Nachfolger Christfried Brödel/Dresden, Raimund Schulz/Bitterfeld, Manfred Schlenker/damals Stendal, Hans-Jürgen Thomm/Leipzig). Die kirchliche Landschaft bot eine Art von Vielfalt, derer sich ein junger Mensch erfreute und die es sonst ja nicht gab. In den letzten Jahren bleibe ich jedoch dem Klingenden Jahreswechsel in Dahme treu, einem besonderen Markenzeichen von Lothar Kirchbaum.
Doch nun zu meinen Anfängen. Ich benutze dabei mein damaliges Tagebuch:

6.45 Uhr Wecken, 7.30 Atemübung 8.00 Mette, 8.30 Uhr Frühstück. (Aus heutiger Sicht: So früh aufstehen? Was machte man dann schon alles vorm Frühstück??) Doch das Singwochen-Wecken hat seine besondere Art, jeden Tag eine andere Instrumentalgruppe mit einem Morgenruf, und as auf jedem Flur. So gehandhabt bis heute.

Vormittags "Stimmbildung und chorisches Singen". Wir sangen vielleicht Heinrich Schütz Motetten, auch Johann Eccard. Auf jeden Fall aber Hugo Distler und mit dem besonderen Gefühl, es könnte ja vielleicht die Erstaufführung sein, Volker Ochs Vertonungen des "Heiteren Herbarium" von Karl Heinrich Waggerl. "Bescheiden lebt das Hungerblümchen, wie es auch sonst der Seele frommt, von Wasser sich und kleinen Krümchen, damit es in den Himmel kommt". Das paßte ja. Es muß wohl die Zeit gewesen sein, als am häuslichen Eßtisch die Butter rationiert werden mußte, wie überall damals für einige Zeit.

Genau erinnere ich mich an den vierstimmigen Kanon "Agnus dei" von Adam Gumpelzhaimer aus "Singt und klingt", jenem Jungend-Liederbuch im blauen Plasteeinband aus dem Burkhardthaus-Verlag. Er war nicht ganz leicht einzustudieren, aber verbreitete eine besondere Feierlichkeit und Würde.

Nicht zu vergessen auch das abendliche offene Singen: Kanons, Singstücke, oft aus dem "Singenden Jahr&, alles auswendig gemacht - und siehe, es ging, auch mehrstimmig! Allen voran der Willkommensgruß am Abend:" Treten Sie ohne Sorgen ein, sollen uns hoch willkommen sein..."

Desweiteren gab es nachmittags Instrumentalgruppen. Höhepunkt das Bratschenkonzert von Telemann. Mein Bruder am Cello und ich an der 2. Geige durften teilnehmen, eigens dafür fit gemacht von der Musikpädagogin Frau Seidel aus Berlin, sehr einfühlsam. Sinngemäß: Du kannst deine ganze Seele in dein Instrument hineinlegen. Das zu hören, tat gut.

Andere probten die Kindersinfonie von Leopold Mozart. Dabei war Volker Ochs am Cello, der im letzten DaCapo-Satz mit diebischer Freude das Tempo ständig so forcierte, daß dem Mann am Klavier bald ein paar Töne fehlten.

Plakate im Ort an verschiedenen Stellen kündigten eine "Geistliche Abendmusik" an, für deren Ausführung wir alle gern zur Stelle waren. Ein paar Jahre später war mein Wissensdurst soweit fortgeschritten, daß ich mir auf bekannten Wegen das Buch schenken ließ: Alfred Stier, Lobgesang eines Lebens. In diesem autobiografischen Buch sind auch theologische Titel vermerkt. Waren sie "schuld" daran, daß ich später nicht Musik, sondern Theologie studierte?

Wolfgang Guthke